Ein Freischütz am Nierentisch
Carl Maria von Webers romantische Oper in einer beziehungsreichen Aktualisierung durch die Chorgemeinschaft
Von Klaus Mohr
Fürstenfeldbruck – Carl Maria von Webers 1821 uraufgeführte Oper „Der Freischütz“ gilt als Inbegriff der deutschen romantischen Oper. Der Komponist Hans Pfitzner äußerte zu diesem Werk einmal, dass der Held des Freischütz der deutsche Wald sei. Beide Details umschreiben ein natur- und märchenhaftes Milieu, das heute einer zeitgemäßen Interpretation unterworfen werden muss, soll die Umsetzung nicht in einer verstaubten KIamotte enden. Ungeachtet dessen hat die Musik unsterblichen Charakter und strahlte auch bei der Aufführung der Chorgemeinschaft eine ganz natürliche Frische aus. Die Idee, den „Freischütz“ als Jubiläumsveranstaltung anlässlich der 150. Wiederkehr des Gründungsjahres der Chorgemeinschaft Fürstenfeldbruck auf die Bühne des Stadtsaals zu bringen, hat auch programmatischen Charakter: Man kann sicher davon ausgehen, dass Werke wie Webers „Freischütz“ bei Musikliebhabern im Jahr 1861 bekannt und beliebt waren und die Initiative, einen Männergesangverein in Fürstenfeldbruck zu gründen auch positiv beeinflusst haben.
Der langjährige Chorleiter der Chorgemeinschaft, Klaus Linkel, dirigierte am Samstag im voll besetzten Stadtsaal des Veranstaltungsforums Solisten, rund achtzig Sängerinnen und Sänger der Chorgemeinschaft sowie das Orchester des Südböhmischen Theaters Budweis. Das große Vorhaben gelang, weil professionelle Musiker und Laiensänger hier ganz überzeugend in technischer und musikalischer Hinsicht zusammenwirkten. In der halbszenischen Aufführung platzierte Regisseur, Michael Stacheder den Chor als stets präsente Akteure und Beobachter der Handlung auf der Bühne. Davor ergab sich die Spielfläche für das Geschehen. Die Chorsängerinnen und -sänger waren dabei teilweise in Tracht oder in ein „Jägeroutfit“ und teilweise in der Mode der 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts gekleidet. Genau diese Spannung zwischen den Zeiten rückte der Regisseur in den Mittelpunkt seiner theatralen Umsetzung. Nierentisch und Petticoat spielten zwar musikalisch keine Rolle, waren aber doch eine Aktualisierung, die näher an die Zuschauer heranreichte als die Spielzeit zu Ende des Dreißigjährigen Krieges oder das frühe 19. Jahrhundert. Optischer Zentralpunkt auf der Bühne war ein Hirschgeweih, das mit einer roten Lichtscheibe fokussiert die Besucher schon bei geschlossenem Vorhang empfing, quasi als mahnende Erinnerung, dass der Treffer im Preisschießen über das Schicksal von Max (Adrian Cave) und Agathe (Monika Rebholz) entscheidet. Von Weber nicht vorgesehen, in dieser Inszenierung aber realisiert, war eine kontinuierliche Personifikation des schwarzen Jägers Samiel (Joachim Birzele), der die Handlung von der ersten Szene an als Beobachter und Kommentator begleitete, dabei aber nur für die Zuschauer sichtbar war. Dadurch ergab sich eine spannungsmäßige Verklammerung des Geschehens im Hinblick auf die große Wolfsschluchtszene.
Bedrohlich pulsierende Unterwelt
Eindrucksvoll stellte das Orchester in der Ouvertüre die zentralen Themen des „Freischütz“ vor: Zunächst den harmonischen Wohlklang des Waldes, symbolisiert durch sonore (aber nicht immer ganz einwandfreie) Hornklänge und zarte Streicher, dann die dämonische, bedrohlich pulsierende Unterwelt der Wolfsschluchtszene mit den charakteristischen Klangfarben der KIarinette. Schließlich eroberte das in große Kantabilität übersetzte Happy End die klangliche Vormacht. Die Klangwogen des großen Orchesters beflügelten auch den nachfolgenden Eingangschor der Landleute, der durch deutliche Textdeklamation und homogenen Zusammenklang erfreute. Viele der Sängerinnen und Sänger agierten ohne Notentext und unterstrichen dadurch den szenischen Charakter. Vergleichbar war der Höreindruck auch an späterer Stelle beim Chor der Brautjungfern (Sopran und Alt) sowie dem Jägerchor (Tenor und Bass). Notgedrungen etwas improvisiert wirkte die Wolfsschluchtszene, die insbesondere durch viel Nebel und rote Lichteffekte mystischen Charakter bekam. Umso besser gelang die Musik, die die Szene emotional sehr gut einfing.
Agathe überzeugte durch lyrische Stimmqualitäten und nachdenkliche Introvertiertheit, blieb aber manchmal etwas im Schatten ihrer fidelen und spritzig agierenden jungen Verwandten Ännchen (Sonja Adam). Jägerbursche Max meisterte solide seine Partie und hatte seine stärkste Bühnenpräsenz an der Stelle, an der er sich, durch einen hellen Spot beleuchtet, von der Treppe her der Bühne näherte. Stimmlich wie darstellerisch überzeugte Holger Ohlmann als Kuno, wie ein Traumschiffkapitän gekleidet ging Thomas Hohenberger in der Rolle des Ottokar auf. Adäquat besetzt waren auch Kaspar (Torsten Frisch), der Eremit (Martin Ohu) und Kilian (Adrian Sandu).
Neben häufigem Szenenapplaus bedankten sich die Zuschauer zum Schluss mit großem, aber differenziertem Beifall und Bravorufen bei allen Mitwirkenden.